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Biographie Jakobus Kloppenburg
JK, wie er hier abgekürzt genannt wird (für viele seiner Arbeiten verwandte er nur ein K),
wurde am 16.3.1930 in Amsterdam geboren. Schon 1933 zog die Familie - sein Vater betrieb
ein kleines Werbegeschäft - in das Haus Lauriergracht 111, ein fast 300 Jahre altes, zur
Straßenseite hin schmales und hohes mehrstöckiges Gebäude, das für sein ganzes Leben
bedeutsam blieb. Die Lauriergracht gehört zum Stadtteil Jordaan, damals noch dicht bevölkert
von hunderten sehr unterschiedlichen Arbeiten nachgehenden Handwerksbetrieben, von
vielen kleinen Läden, bewohnt auch von Künstlern und mit einer ersten sehr lebendigen
Jazzscene in den zahlreichen Kneipen. Es war ein den jungen JK prägendes soziales Umfeld.
Das erste einschneidende große von außen einwirkende Erlebnis wurden der deutsche
Überfall auf die Niederlande, die Besetzung, die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung,
Luftangriffe der Alliierten und der in der Großstadt zunehmende Hunger bis zur Befreiung
der nördlichen Niederlande im Frühjahr 1945. In die Kriegsjahre fiel auch die Trennung vom
Vater, der die Familie 1943 verließ.
Für Kinder können Zeiten wie diese auch Abenteuer mit sich bringen: Im Nachbarhaus
Lauriergracht 109 hatte die Amsterdamer Wagner-Gesellschaft ihre Requisiten gelagert, um
die sich in den Kriegsjahren und verständlicherweise auch in den unmittelbaren Jahren
danach niemand kümmerte. JK und seine beiden jüngeren Schwestern fanden über die
Gebäuderückseite ein lockeres Oberlicht und erschlossen sich eine verzauberte Welt. Dicht
beieinander standen Möbel, Bühnenbilder, Waffen und zu Hunderten hingen die Roben und
Rüstungen auf der obersten Etage im alten Speicher unter dem Dach. Fragt man JK heute
danach, verklären die Erinnerungen an diese Jugenderlebnisse noch immer sein Gesicht. Es
ist wohl kein Zweifel, daß diese Wunderwelt dichtgedrängter Kunst - jede Requisite hatte
doch ihre ganz eigene Bedeutung - den Keim legte für das Artchive for the future.
JK besuchte von 1936 bis 1947 Grundschule und Oberschule, die er nicht abschließen kann.
Der strenge Vater drängte ihn in einen für sein Werbegeschäft wichtigen Kalligraphiekursus,
alles Künstlerische aber hielt er für unwichtig und unnütze Tätigkeit. So entwickelte JK seine
Neigungen unter dem Schutz einer verständnisvollen Mutter, die ihre Familie durch ein
eigenes Geschäft (an der Ecke Kaisergracht/Spiegelgracht gelegen) ernährte, anfangs war es
ein Farbengeschäft, dann größer werdend ein Laden für Kunstgewerbewaren (De Pelikaan
Warehouse, in dem JK auch aushalf). JK wurde ein eifriger Museumsgast, zumal der
damaliger Direktor des Städtischen Museums sehr rasch die Moderne in sein Haus holte. JK
malte nach COBRA.
Ab 1950 beginnt JK sich durch den Einfluß eines Schwagers mit Fotografie zu beschäftigen
und er bekommt Kontakt zu den Werken Rudolf Steiners. Er wird ein sehr aktiver
Hockeyspieler, nimmt auch an internationalen Turnieren teil. Ohne jede besondere
Ausbildung arbeitet JK bereits als freier Künstler. Er entwirft Möbel, ein Hausboot und
abstrakte Muster für Stoffdruck und gründet ein eigenes Label, aber trotz großer
Anerkennung (besonders in Japan) scheitert das Geschäft an seinen eigenen zu hohen
Ansprüchen.
Als die Wagner-Gesellschaft 1963 das Haus Lauriergracht 109 verläßt, mietet JK die oberen 5
der insgesamt 6 Stockwerke: Dies ist auch der reale Beginn seiner in Jahrzehnten
zusammengetragenen Sammlung. Das, was nach dem Auszug der Wagner-Gesellschaft
verstreut auf dem Boden liegen blieb, wurde zu Sammelstücken, waren alle diese
Gegenstände doch behaftet sowohl mit seinen Erinnerungen daran aus den Kindertagen wie
mit den Ausstrahlungen ihres eigentlichen Zweckes und den Gründen ihrer jahrelangen
Nichtnutzung.
Nun beginnt er einzelne Gegenstände, aus der individuellen Nutzung fremder Menschen
stammend und abgestellt als nicht mehr brauchbar am Straßenrand, zu sammeln, mit anderen
zusammenzufügen, zu ordnen oder zu Skulpturen zu bündeln, in Bilder einzupassen. Es kann
geschehen, daß er mit einem leeren Fahrrad losfährt und ein hoch beladenes nach Hause
schiebt, daran bereits Fundstück an Fundstück gebunden und das Ganze als eine Einheit, als
Skulptur einem einzigen Tag zugeordnet, dem schon Vorhandenem hinzufügt.
Er beginnt, über jeden Tag Buch zu führen, er entwickelt und verwendet seine eigene Schrift
(reduced alphabet), es entstehen surrealistische Zeichnungen.
1970 trifft er Eva Arnscheidt auf einem Seminar in den USA, sie heiraten und beziehen eines
der ältesten erhalten gebliebenen Häuser in Düsseldorf in der Neubrückstraße zwischen der
Kunsthalle und der Kunstakademie. Dort lebt er mit der wachsenden Familie (3 Kinder). Er
selbst arbeitet aber sowohl in einem alten Bauernhaus hinter dem Seedeich bei Ternaard in
den NL, wie in einem Atelier in der Merowingerstrasse in Düsseldorf und an der
Lauriergracht in Amsterdam. Weil er aufgrund der niederländischen Künstlerversorgung
(BKR) seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, arbeitet er fast ausschließlich für seine
Sammlung, dorthin gelangt fast alles, was entsteht. Er beschäftigt sich intensiv mit dem
Goldenen Schnitt, 1972 wird eine entsprechende Skulptur von der BKR erworben.
Er ist von Anfang an dabei, als Joseph Beuys mit anderen zusammen die Freie Internationale
Universität (FIU) gründet. Von 1976 bis 1985 entstehen hunderte von Pastellzeichnungen im
Format 100x70. Es gibt Teilnahmen an Gruppenausstellungen und Museen erwerben
Arbeiten, besonders, nachdem er 1985 erstmalig in eine Einzelausstellung einwilligte
(Museum Fodor Amsterdam). Auf die drängenden Kaufwünsche nach seinen Pastellarbeiten
reagiert er durch vollständigen Abbruch dieser Malerei und Zuwendung zur künstlerischen
Inbesitznahme ausgedienter VW-Türen, die vor der benachbarten Werkstatt ausrangiert
abgestellt werden, als Medium für Bilder und Skulpturen.
Nach dem Tode der Mutter 1984 übernimmt JK das Haus Lauriergracht 111 (als Mieter).
Dieses Gebäude wird zum endgültigen Domizil seiner schon umfangreichen und weiter
wachsenden Sammlung, für die wohl nur der Begriff „Gesamtkunstwerk“ zutreffend sein
konnte und für die 1987 erstmals der Ausdruck „Artchive for the future“ öffentlich verwandt
wird. In diesen Jahren nimmt JK auch an Ausstellungen in Ausland teil. Er reist (mit Waldo
Bien) nach Afrika, Südamerika und in die USA.
Es entstehen viele Fotos des Artchives, nicht allein als Dokumentation, sondern vorwiegend
in einer Verfremdung als neue Kunstwerke durch Spiegelungseffekte (mirror palace), auch
hier ist der unmittelbare Ort die Auslösung, hat doch JK das Phänomen der Spiegelung in der
Wasseroberfläche der Grachten täglich seit seiner Kindheit vor Augen gehabt.
Zu Beginn der 90er Jahre entdeckt JK, wie sich mit den von Früchten gelösten und gepreßten
Schalen Kunstwerke herstellen lassen: Sein Vermögen, einen Raum zu erfassen und in die
zweite Dimension auszubreiten, führt beim Abschälen einer Frucht in einem einzigen
Vorgang zu immer neuen Bildern (Artvocado / 3-D Flat-Form). Milchtüten,
Butterpackpapiere und Pizzakartons, alle Produkte der Wegwerfgesellschaft, werden medial
neu verwendet.
Nachdem die Stadt Amsterdam ein Programm aufgelegt hat, den Stadtteil Jordaan „sozial
umzuwidmen“, will auch der Besitzer der Häuser Lauriergracht 109 und 111 diese zu
modernen Wohnungen umbauen und kündigt dem Mieter JK. Da ein Auszug das
Gesamtkunstwerk weitgehend zerstören würde, setzen sich JK und seine Freunde, aber auch
zunehmend international bekannte Persönlichkeiten für den Erhalt des „Gesamtkunstwerkes“
ein. Der Vermieter läßt 1996 das Dach abbrechen, Feuchtigkeit zerstört erste Teile der
Sammlung, darunter viele der Pastellzeichnungen. Die Behörden der Stadt Amsterdam setzen
Fristen unter der Begründung, es bestünde eine erhöhte Brandgefahr. Das Museum Schloss
Moyland erklärt sich bereit, die Möglichkeit einer Übernahme zu untersuchen. Bevor aber
alle Einzelheiten abgeklärt sind, läßt die Stadt durch ein Abbruchunternehmen in einer Art
„Nacht- und Nebelaktion“ am 14.10.1997 das Haus räumen und die Sammlung in zahlreiche
Container stopfen ohne jede Rücksicht auf die zum Teil sehr empfindlichen Arbeiten, und
fordert ab Räumungstag erhebliche Mietzahlungen von JK für die 13 Container.
Zwar ging das barbarische Vorgehen durch die Presse und es kam zu Protesten weltweit,
jedoch zu keinerlei positiven Reaktionen der Behörden. So liegen die Trümmer der
Sammlung auch 2006 trotz jahrelanger Rechtsstreite noch immer in den Containern, einige
wurden aufgebrochen und geplündert.
Das Drama der Zerstörung des Gesamtkunstwerkes traf JK tief, lähmte seine Schaffenskraft
aber nicht. Er beteiligtesich an Ausstellungen und Projekten, wurde Mitgründer der
Kunstsammlung der FIU (FIUWAC), an der sich Künstler aus der ganzen Welt beteiligen und
die bei der Triodos-Bank Aufnahme gefunden hat. Es entsteht Konzept-Kunst unter dem
Begriff TRASHETICAL LITTERARTURE, JK beteiligt sich an der wandernden und
wachsenden Ausstellung BISON CARAVAN, einem Projekt gegen Zerstörung von Natur und
Kultur. Ende 2005 erscheint nach seinem 75. Geburtstag das Buch Jacobus Kloppenburg von
Patrick Healy und Waldo Bien (Wienand ISBN 3-87909-877-8). Daraus wird mit
Genehmigung des Herausgebers und des Autors der folgende Text übernommen:
Was regelhaft wächst, muß seine Regeln von vornherein in sich haben
Alle Kunst entsteht zwischen den Polen von Chaos und Ordnung. Der Drang nach Freiheit
nähert sie dem Ersteren, der Trieb zur Form bewirkt eine Orientierung zum Letzteren hin.
Indem heute das Vertrauen in die Tragfähigkeit und Reichweite vielleicht denn doch
hypothetischer Regelfestlegungen erschüttert ist, wendet sich der suchende Blick dem, wie
man glaubte, Regellosen zu. Ist es ja doch das Chaos, aus dem sich alles gebiert, und was
regelhaft wächst, muß seine Regeln von vornherein in sich haben.
Jacobus Kloppenburgs Kunst basiert auf einer steten, beobachtenden und besonnenen
Fantasie. Sie ist nicht exzessiv, man könnte sie nüchtern nennen. Keineswegs so aber, daß sie
sich in eine einschränkende Zucht nähme; sie ist vielmehr geradezu überbordend fruchtbar.
Konzentriert ist sie in sich, nicht in der Beschränkung auf´s Wenige, das denn das
Wesentliche sei. Alles vielmehr, das wahrhaft Viele, ist wesentlich. Die Fülle gibt ihm sein
Gewicht, das Einzelne bietet die Gewähr für dieses.Alles ist in seinem Blickfeld, alles bietet
ihm seine Stofflichkeit zur geistigen Besitznahme an. So ist es ein Unmaß von materiellen
Dingen, die er sich aneignet: abgelebte, verzehrte, ausgeschiedene Gegenstände und Stücke,
gezeichnet von ihren Schicksalen, dem Verschwinden entrissen, geborgen und
zusammengebracht. In den Räumen eines großen Hauses inmitten einer großen Stadt
sammeln sich Zeugnisse ihrer unterschwelligen, nie ernsthaft wahrgenommenen Geschichte.
Eine eindringliche Zeugenschaft, ein Gegenprogramm zu dem, was die Stadt selbst im Sinne
ihres Glanzes geschichtlich bezeugenswert findet. Hier dagegen ist es die wirkliche
Lebensspur. Wenn sie von behördlicher Zerstörung bedroht ist, so vielleicht nicht nur, weil
eine ordentliche Gesinnung dem, was sie als chaotisch erachtet, hilflos und feindlich
gegenüber steht; auch Gesichtspunkte des Profits mögen nicht allein ausschlaggebend sein; es
ist vielleicht auch im Spiel, daß man sich solcher Zeugnisse des eigenen Gewordenseins
schämt. Alle Erhabenheit aber ist künstlch, letztlich ist sie leblos. Voller Leben dagegen ist
das, was Jacobus Kloppenburg angesammelt und gestapelt hat. Daß dies nicht wahllos
geschah, macht sich aus den Zusammenhängen erkenntlich, in die er die Dinge gebracht hat.
Unaufdringlich sind es in Form gebrachte Assoziationen, Analogien, Koppelungen,
Schichtungen, Richtungsgegensätze. Ein Organisieren der von sich her ungerichteten Massen
und der markant sich daraus hervortuenden Einzelheiten in Korrespondenz zueinander und in
der Strukturierung der räumlichen Dimensionen. Ein eigener Kosmos in Wahrheit, das Chaos
als tragende, zeugende Kraft. In dieser Konsequenz ist Jacobus Kloppenburgs Werk einmalig,
es ist den geistigen Positionen unserer Zeit ganz angemessen und damit ein unvergleichliches
Zeugnis unserer Geisteskultur.
Und wie alles Große bescheiden. Keine Paukenschläge, keine Fanfarenstöße, nichts von
Anspruch erhebender Selbstdarstellung. Sondern die stete, stille Hingabe an das, was er zu
seinerAufgabe gemacht hat. Grundlage ist seine differenzierte Kenntnis von Gesetzen,
Regeln, Ordnungen, wie sie sich formal errichten und ablesen lassen. Inwendig ist alles voller
Figur, Dürer wußte es. Figur ist das in Zahl und Maß Nachweisbare. Jacobus Kloppenburg ist
eine subtile Geometrie in allem zu Diensten. Ernsthaft und spielerisch zugleich wird sie
angewendet. Die Schalen kugelförmiger Früchte etwa finden sich, durch Einschnitte gelöst,
ins Flache gebreitet, das Sphärische wird ins Ebene überführt. Daß dies in, wie es scheint,
unendlich vielen Variationen geschieht, erweist den Reichtum der dem Künstler verfügbaren
Möglichkeiten. Jede der Ausformungen ist frisch und spannend. So im Kleinen wie im
Großen. Zeichnerisch und dreidimensional hat er geometrische Gebilde von unbezweifelbarer
Erlesenheit geschaffen. Ein reiches Werk jedem, der die Gabe hat, derartigen Reichtum
wahrzunehmen.
Franz Joseph van der Grinten – Mala, 2. Oktober 2005
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